Der Islam und Minderheiten

Die Stellung, die nicht-muslimische Minderheiten in einem islamischen Staat einnehmen, ist eine Thematik, von der oft geglaubt wird, sie sei sehr heikel. Viele vermeiden das Gespräch darüber, um Problemen mit Nichtmuslimen aus dem Weg zu gehen.
Ich habe mich aber an unumwundene Offenheit mit mir selbst und mit anderen gewöhnt, und daher wage ich zu fragen: Was fürchtet ihr eigentlich von Seiten eines islamischen Regimes? Sind es die Textstellen, die euch Angst machen oder deren Anwendung?
Nun, was die Textstellen anbelangt, so heißt es im Koran: "Allah verbietet euch nicht, gegen jene, die euch nicht des Glaubens wegen bekämpft haben und euch nicht aus euren Häusern vertrieben haben, gütig zu sein und redlich mit ihnen zu verfahren; wahrlich, Allah liebt die Gerechten" (60:8) An anderer Stelle heißt es: "Und die Speise derer, denen die Schrift gegeben wurde, ist euch erlaubt, wie auch eure Speise ihnen erlaubt ist Und ehrbare gläubige Frauen und ehrbare Frauen unter den Leuten, denen vor euch die Schrift gegeben wurde, wenn ihr ihnen die Brautgabe gebt, und nur für eine Ehe und nicht für Unzucht und heimliche Liebschaften Und wer den Glauben verleugnet, dessen Tat ist ohne Zweifel zunichte geworden; und im Jenseits wird er unter den Verlierern sein." (5:5)
Der allgemeine Grundsatz unter den Gelehrten tautet: "Ihnen gehört, was uns gehört, und sie geben, wie wir zu geben haben."
Diese Grundsätze fordern Gerechtigkeit und guten Umgang mit ihnen, und die Gleichberechtigung zwischen Muslimen und Nichtmuslimen in Rechten und Pflichten in den Angelegenheiten, die nicht mit der Religion oder dem Gottesdienst zusammenhängen. Dies betrifft vielmehr nur das gesellschaftliche System und die Rechte des Staatsbürgers. Hinzu kommt noch, dass man sich um die Verfestigung der Bindungen zwischen Muslimen und Nichtmuslimen bemühen muss, und zwar im Zusammenleben, im Essen und Trinken, was nur zwischen guten Freunden der Fall sein kann, und dies alles wird noch durch die Erlaubnis zur Ehe verstärkt, da dies die stärkste Art der Verbindung darstellt.
Was die Anwendung der Gesetze anbelangt, so überlassen wir das Urteil darüber einem christlichen Europäer. W.Arnold sagt auf Seite 48 seines Buches "Die Einladung zum Islam", dass man aus den guten Beziehungen, die zwischen Christen und Muslimen bestanden, ableiten kann, dass es nicht die Gewalt war. die die Leute zum Islam brachte. Denn Muhammad selbst hatte Verträge mit einigen christlichen Stämmen gemacht, und verpflichtete sich zu ihrem Schulz und gewährte ihnen freie Ausübung ihrer Religion. Ebenso hatte er den Priestern zugesagt, ihre Ämter wie bisher in Sicherheit ausüben zu dürfen.
Auf der Seite 51 heißt es, dass aus diesen Beispielen der Nachsicht von Seiten der Muslime gegenüber den arabischen Christen im ersten Jahrhundert nach der Hidschra, die bis in die nachfolgenden Generationen noch weiter andauerte, geschlossen werden kann, dass die christlichen Stämme, die vom Islam überzeugt wurden, aus freien Stücken dazu kamen, und dass jene arabischen Christen, die bis heute in den muslimischen Gemeinschaften leben, von dieser Nachsicht zeugen.
Auf Seile 53 wird davon berichtet, wie Abu Ubaida mit seinem Heer vor Jordanien lag und die christlichen Einwohner an ihn schrieben: "Oh, ihr muslimisches Volk, ihr seid uns lieber als die Römer, wenn sie auch die gleiche Religion wie wir haben. Ihr seid zu uns treuer, gütiger und unterdrückt uns nicht und seid sensibler in unserer Verwaltung." Solche Gefühle brachte man dem arabischen Heer entgegen, das in den Jahren zwischen 633 und 639 n.Chr. die Römer nach und nach aus diesen Kolonien verdrängte. Wegweisend dafür war der Friedensvertrag mit Damaskus, der mit den Arabern im Jahre 637 nach Christus geschlossen wurde, und in dem sich die Stadt vor Zerstörung und Plünderung schützte, so wie auch noch weitere Bedingungen angefügt wurden. Es schlossen sich daraufhin noch weitere syrische Städte diesem Vorgehen an und unterzeichneten Verträge, so wie auch Jerusalem sich den Muslimen zu ähnlichen Bedingungen ergab. Die Angst vor dem römischen Kaiser, der sie mit Gewalt zur Annahme seiner religiösen Richtung zwingen wollte, ließ ihnen die Muslime, die ihnen freie Religionsausübung zusicherten, vorteilhafter erscheinen als jede christliche Regierung. So wich die anfängliche Angst vor den arabischen Eroberungsheeren sehr rasch einer Begeisterung.
Auf diese Weise legt ein europäischer Christ Zeugnis über den Islam ab. Was fürchten also die Christen noch von einer islamischen Regierung? Den Fanatismus der muslimischen Bevölkerung ihnen gegenüber? Dann wissen sie anscheinend noch nicht genug über die Bedeutung dieses Wortes. Wir wollen daher einige Beispiele bringen.
Die spanische Inquisition wurde vordringlich zur Vernichtung der Muslime eingerichtet. Es wurden dabei die grausamsten Foltermethoden verwendet, angefangen von der Verbrennung bei lebendigem Leib, bis zum Ziehen der Nägel, Ausstechen der Augen, Abschneiden von Gliedmaßen und ähnlichem, um die Muslime von ihrer Religion abzubringen und zu "christianisieren". Ist den Christen im islamischen Orient jemals solches Leid zugefügt worden?
Und was ist mit den Verfolgungen, denen die Muslime in den verschiedensten europäischen Ländern ausgesetzt sind, bzw. die ihnen in ihren eigenen Ländern, die von europäischen Mächten besetzt sind, widerfahren, wie z.B. in Jugoslawien, Albanien, Russland; aber auch in Nordafrika, Somalia, Kenia und Senegal, in Indien und Malaysia, einmal im Namen der "Reinigung der Reihen", ein anderes Mal unter dem Vorwand des "Friedens" und der "Sicherung der Stabilität".
Aber lassen wir dies alles beiseite und nennen wir das Beispiel eines anderen Landes, das mit uns durch geographische und geschichtliche Gemeinsamkeiten verbunden ist. Ich spreche von Äthiopien, das von der koptischen Kirche aus gesteuert wird. Seine Einwohner setzen sich zu 55% (andere Zahlen sagen 65%) aus Muslimen und zu 45% aus Christen zusammen. Trotzdem gibt es in Äthiopien keine einzige Schule, in der für muslimische Schüler islamischer Religionsunterricht erteilt wird. Schulen, die auf Eigeninitiative von Muslimen eröffnet wurden, bedachte man mit derart hohen Steuern und Auflagen, und verüble an ihnen noch allerlei andere Schikanen, dass sie wieder geschlossen werden mussten, und auch jeder weitere Versuch im Keim erstickt wurde. Die Muslime sind daher allein auf Koranschulen angewiesen.
Bis vor nicht allzu langer Zeit, genau gesagt vor der Besetzung durch die Italiener, war es noch üblich, dass ein Muslim, der sich von einem Christen Geld geborgt hatte und es nicht zurückzahlen konnte, Sklave des christlichen Abessiniers wurde, der gekauft, verkauft und gequält werden konnte. Natürlich ist es einem Muslim unmöglich, den Posten eines Regierungsbeamten oder gar Ministers einzunehmen, um den muslimischen Volksanteil, der mehr als die Hälfte beträgt, in der Regierung interessenmäßig zu vertreten. Dies alles unter den Augen der Regierung, die ihre Anweisungen von der koptischen Kirche erhält!
Sahen die Christen in den muslimischen Ländern etwas Ähnliches? Würden sie es wünschen, auf diese Weise behandelt zu werden? Dies ist der wahre Fanatismus. Was haben die Christen aber beispielsweise in Ägypten zu befürchten?
Der Meinung der Kommunisten nach, ist der Mensch nach seiner wirtschaftlichen Existenz zu beurteilen. Wenn das stimmt, so ist diese Art der Persönlichkeit den Christen in muslimischen Ländern gewährt, denn sie haben Recht auf Besitz und verfügen nach ihrem Belieben darüber. Oder wie hätte es sonst geschehen können, dass ein Christ beim Besuch des Königs Fu'ad in Sacid von seiner Pflanzung früchtetragende Orangenbäume ausgraben und entlang des Weges auf der Länge von 25 Kilometern wieder eingraben ließ. Woher hätte er diesen Reichtum gehabt, wenn die obige Behauptung nicht zutreffen würde?
Ebenso steht es mit dem Recht auf Wissen und Bildung, dem Recht auf Beamtenposten in der Regierung, das Recht auf Beförderung, usw. Wo ist hier ein religiöser Rassismus zu bemerken?
Wir geben den Kommunisten nicht Recht, und glauben an das Vorhandensein der seelischen und juristischen Persönlichkeit ebenso. So gab es keinerlei Unterdrückung oder Zwang in der Ausübung der Religion, außer in einigen wenigen Ausnahmefällen, die die englischen Okkupanten anzettelten, um Unfrieden unter das Volk zu bringen und so ihre Anwesenheit rechtfertigen zu können.
Es wird des Öfteren über die Ungerechtigkeit in der Bestimmung der Dschizya (Schutzsteuer) gesprochen. Wir können darauf mit dem antworten, was Sir Arnold in seinem Buch darüber zu sagen hat. Dort heißt es auf Seite 58. dass die Schutzsteuer nur auf die zahlungsfähigen erwachsenen Männer entfiel, die dadurch vom Militärdienst befreit waren, während die Muslime dazu verpflichtet waren. Wenn sich aber die Christen zur Leistung des Heeresdienstes bereit erklärten, so wurden sie freilich der Zahlung dieser Steuer enthoben. Ein Beispiel dafür ist der christliche Stamm der "Dscharadschima", die bei Antakya lebten und den Muslimen anboten, ihnen bei sämtlichen kriegerischen Auseinandersetzungen beizustehen, dafür aber keine Dschizya zu bezahlen und ihren Anteil an der Beute zu erhalten. Im Gegensatz dazu wurden die ägyptischen Bauern, die Muslime waren, von der Wehrpflicht befreit, mussten als Gegenleistung aber die Dschizya bezahlen.
Daraus ist leicht zu erkennen, dass es sich bei der Dschizya nicht um eine Angelegenheit handelt, die zur Unterscheidung und Entzweiung der Menschen verschiedener Religion gemacht wurde, sondern es ging hier einzig und allein um die Ableistung der Wehrpflicht.
Die Koranstelle, die in diesem Zusammenhang oft fälschlicherweise zitiert wird, ist jedoch zu einer völlig anderen Thematik offenbart worden. In der Sura At-Tauba heißt es in Vers 29: "Kämpft gegen diejenigen, die nicht an Allah und an den Jüngsten Tag glauben, und die das nicht ßr verboten erklären, was Allah und Sein Gesandter ßr verboten erklärt haben, und die nicht dem wahren Glauben folgen - von denen, die die Schrift erhalten haben, bis sie eigenhändig den Tribut in voller Unterwerfung entrichten.
In dieser Textstelle werden ausschließlich jene angesprochen, die die islamische Gemeinschaft bzw. islamische Länder zu okkupieren versuchen, und es sind auf keinen Fall jene gemeint, die in den islamischen Ländern leben!
An jene aber, die versuchen, durch das Verbreiten von Angst und Unsicherheit das Volk zu entzweien und für ihre Zwecke zu gewinnen, ist meine Versicherung gerichtet, dass es nicht der Islam ist, der zwischen den Menschen aufgrund ihrer Religion Unterschiede in der Behandlung macht. Der Islam versammelt sie alle unter dem Aspekt der ihnen gemeinsamen Menschlichkeit, und stellt sie unter seinen Schutz und unter seine Fürsorge. Aber ich bin mir sicher, dass auch unsere christlichen Mitbürger nicht daran interessiert sind, die Verbindungen und Beziehungen, die uns in langer Geschichte miteinander verknüpfen, aufs Spiel zu setzen.
Quelle: Einwände gegen den Islam
von: Muhammad Qutb