Putscht Deutschland seine Demokratie?

Wir neigen uns dem Ende des Jahres 2013. Als Journalistin suche ich mir immer mein ganz persönliches Wort des Jahres. Ohne lange zu überlegen wusste ich sofort, dass dieser eine Begriff  mein wohl meistverwendetes Wort war. Und obwohl ich eigentlich nur von der zweiten Hälfte des Jahres sprechen kann, so bin ich mir ziemlich sicher, dass ich kein Wort mehr getippt oder ausgesprochen habe. „Militärputsch

Nichtägypterin sein und 3208,105 km Luftlinienentfernung haben mich nicht daran gehindert mich der Mehrheit und den ehrenvollen Menschen anzuschließen. Anders als die Politiker Europas gab es viele Freiheitsliebende und gerechte Bürger, welche sich in den vergangen sechs Monaten angestrengt haben. Beitrag leisten. Wie? Demonstrationen. Proteste. Podiumsdiskussionen. Aufklärungsarbeit an Bahnhöfen oder öffentliche Reden vor dem Brandenburger Tor.

Abgesehen davon, dass mir mein ganzes Schulleben und auch im Studium eingetrichtert wurde, dass die Demokratie das Recht aller Menschen ist, galt es mir als Selbstverständlichkeit, dass ich mich gegen diesen Militärputsch ausspreche.  Europas Geschichte lehrte mich stets die Meinung zu sagen und mich gegen Ungerechtigkeit wehren. Ich soll nie schweigend wegschauen, wenn es darum geht, dass andere massakriert werden und deren Freiheit geraubt wird. Mit allen Mitteln soll ich mich erheben und mich von keiner Diktatur mundtot machen lassen.

Entführung des legitimen und demokratisch gewählten Präsidenten Dr. Muhammed Mursi. Inhaftierung unzähliger Minister, Beamte und freien Bürgern, die sich gegen diesen Militärputsch wehrten. Ein Massaker, welches binnen weniger Stunden mehr als 5000 Menschenleben kostete. Nicht gerechtfertigtes Eindringen in die Wohnungen und Festnahmen von minderjährigen Mädchen, die friedlich das R4bia Zeichen trugen. Die Unmenschlichkeiten der Putschregierung sind ellenlang. Doch wohl nicht Grund genug für die europäische Politik konsequent Maßnahmen zu ergreifen.

Aber bleiben wir in Deutschland. Zur Zeit des Militärputsches befand sich die Bundesrepublik im Wahlkampf. Die Parteien waren beschäftigt und feilten an Wahlprogrammen. Sprachen leere Versprechen aus und mobilisierten Wähler für sich. Keine Zeit also in Richtung Nordafrika zu blicken. Frau Merkel sah es nicht als nötig den Putsch zu verurteilen, selbst nach dem Rabia-Massaker nicht. Obwohl sie uns hierzulande große Worte von Demokratie und Menschenrechten predigte. Sie sprach von Weltfrieden und Freiheit. Ziemlich paradox, wenn man sich als mächtigste Frau der Welt nicht zum größten Verbrechen im Namen der Demokratie ausgesprochen hatte. Aber lasst uns weiter schauen.

Es ist Montag. Ein Tag nach der Wahl in Deutschland. Die Ergebnisse stehen fest. Jetzt spielt es keine Rolle mehr wie sich die Parteien zum Militärputsch äußern. Es ist der perfekte Zeitpunkt, um die Putschisten willkommen zu heißen. Hisham Zaazou, Tourismusminister der Putschregierung wird nicht nur im Auswärtigen Amt empfangen sondern sitzt in Talkshows und thematisiert der Sicherheitslage Ägyptens. Wo sind die demokratischen Prinzipien, für die ich ein Tag zuvor wählen gegangen bin? Aber schauen wir weiter.

Als das Auswärtige Amt am 24.10.2013, die Putschpolitikerin Mona Makram Ebeid, der ägyptische Botschafter, der natürlich den Militärputsch befürwortet, und weitere Putschisten zusammenkommen, um die Lage in Ägypten zu debattieren bzw. mit der nicht legitimen Putschregierung zu verhandeln, werden zwei Anti-Putsch Aktivisten eingeladen. Diese nutzen die Gelegenheit endlich gehört zu werden und äußern ihre Meinung, welche die Putschisten reizte und handgreiflich werden ließ.

Halten wir fest: Zwei Anti-Putsch Aktivisten werden im Auswärtigen Amt krankenhausreif geschlagen. Nun sollte man meinen, dass die deutsche Polizei und die Sicherheitskräfte dazwischen gehen und die Opfer in Schutz nehmen müssten bzw. die Kriminellen festnehmen sollten. Doch was tatsächlich geschah; die Polizei reichte den Putschisten die gewaltbereite Hand. Ägyptisches Szenario auf deutschem Boden vor dem Auswärtigen Amt in Berlin. Demokratische Prinzipen also?

Liebes Deutschland. Auf was wartest Du? Weitere Massaker? Sollen mehr  minderjährige Mädchen zu mehreren Jahren Haft verurteilt werden? Vielleicht habe ich es verpasst und die Definition von Freiheit und Demokratie hat sich geändert. Eventuell habe ich all die Jahre nicht richtig zugehört, als Du mir beigebracht hast, dass nichts über der Menschenwürde steht.

Wo ist die Menschenwürde des ägyptischen Volkes, dessen gewählter Präsident bis heute inhaftiert wird? Von welcher Würde ist die Rede, wenn das Blut mehrere tausend Menschen keine klare Stellungnahme der deutschen Politiker verdient?

Habe ich am 22. September.13 tatsächlich für ein demokratisches Regime mein Kreuz gesetzt? Ist es eine Scheindemokratie in der ich lebe?

Liebes Deutschland, ich frage Dich und hoffe auf Antwort. Ich will verstehen warum die EU dem ägyptischen Militär weiterhin Gelder zukommen lässt? Gelder, welche die Demokratie Ägyptens zerstörten. Gelder, welche mehrere tausend Menschen auf dem Gewissen haben. Dass die deutsche Politik kein Fan vom gewählten Präsidenten Dr. Muhammed Mursi ist, bedarf keiner Aufklärung. Aber muss man tatsächlich Sympathie für einen demokratisch gewählten Präsidenten empfinden, um sich für die Legitimität einzusetzen?

Braucht Deutschland einen Mursi? Abgesehen von wirtschaftlichen Aspekten könnten auch geografische Aspekte eine Erklärung für dieses undemokratische Verhalten Deutschlands sein. Eigene Interessen gehen im Namen der Demokratie über die Demokratie.

Es macht mich traurig, dass ich ein halbes Jahr nach dem Militärputsch auf keine meiner Fragen eine Antwort erhalten habe. Es macht mich traurig sagen zu müssen, dass Deutschland mit diesem Benehmen nicht nur Beihilfe bei der Zerstörung der ägyptischen Demokratie leistete, sondern auch ihre eigene dem Erdboden gleichmachte.

Von:

Nesrin Chloé

Es freut uns sehr, dass Sie uns Ihre Artikel einreichen:

Bitte hier klicken

 

Spende für Weg zum Islam